Mittwoch, 12. November 2014

Amerika 9 - Einmal um die halbe Welt



Wenn man von Portland aus die Landstraße nach Westen nimmt, gelangt man durch bewaldete Bergzüge vorbei an goldschimmernden Weinhügeln in etwa zwei Stunden an die Küste. Vorher frühstückten wir aber noch in der Portland-Variante: An einem Stand des dicht bevölkerten hiesigen Ökomarktes (vgl. Kollwitzplatz, hier jedoch mitten auf dem Uni-Campus-Gelände mitten in der Stadt!) gibt es (open air!) feinste biologische Burgerkompositionen aus erlesensten lokalen Zutaten und Kräutern (natürlich alles garantiert glutenfrei!) für die man (zu Recht!) eine halbe Stunde anstehen muss – selten so amerikanisch & köstlich zugleich (warm!) gefrühstückt…  Oregonian breakfast im Stehen mit Live-Musik von den farmers market Freaks (während die Lokalpresse bereits über meine ungewöhnliche, fast 25-jährige Freundschaft mit Kevin berichtet)...

Bevor wir dann auf unserer ca. zweistündigen Autofahrt die Küste erreichen, halten wir an einer kleinen rotbraunen Hütte am Straßenrand – das ist das legendäre Otis Café, nicht nur einer der gerühmtesten Frühstücksplätze von ganz Oregon - mitten in der Pampa. Und tatsächlich, drinnen ist es gerappelt voll (obwohl es ringsum keine Ortschaft gibt). An den Wänden des gemütlichen Häuschens wimmelt es von Souvenirs und lobenden Zeitungsartikeln aller überregionalen großen amerikanischen Tageszeitungen über diesen Ort, und die überaus familiäre Bedienung kredenzt uns an der Bar (anderswo ist kein Platz zu finden) gut gelaunt Kaffee mit köstlichem Marionberry Kuchen. 

Am Neskowin Beach erreichen wir schließlich den Pazifik. Sonne und Wind zaubern für uns in dieser freundlichen Bucht mit dem schier endlosen breiten Sandstrand (ganz ohne Muscheln, die Strömung  reißt sie alle mit) eine ganz besondere Atmosphäre aus Gischtnebel und Licht. Kurz vor dem Strand liegt buckelig und imposant eine kleine Felseninsel  im Sand, die vollständig mit zauseligen Waldbäumen bewachsen ist, man könnte hin waten. Kevin und ich stimmen überein: Man bringe uns einen bequemen Stuhl! Und ab und zu einen heißen Tee mit etwas gutem Gebäck vorbei. Wir verbrächten den Rest unserer Tage damit, von hier aus schweigend auf das Meer zu blicken und den Wellen beim Kommen und Gehen zuzusehen…  Die windflüchtenden Pinien und die Holzhäuser in den Dünen geben mir ein vertrautes Gefühl – nur dass diese „Ostseeszenerie“  irgendwie zehn Nummern größer ist und Wind und Sonne mit ganz anderer Macht auftreten als zuhause. Hier kann man schnell verloren gehen in der weiten, grellweißen Lichtsuppe. Was Lisa und mich nicht daran hindert unsere Schuhe auszuziehen und fröhlich durch die pazifischen Wellenausläufer zu patschen. 


Am Tag darauf fährt mich Kevin (exakt Prof. Dr. Dr. Randolph Kevin Hill) auf den alten Indianerpfaden der Interstate Nr. 5 von Portland über Salem hinunter nach Eugene/Oregon. Hier werde ich im Hotel nahe des Universitäts-Campus‘ einquartiert und am nächsten Morgen holt mich Matthias Vogel von der University of Oregon zu einer Tour durch das Studentenstädtchen mit der wichtigsten Uni des Bundesstaates ab. Der sehr weitläufige Campus besitzt neben wenigen älteren Gebäuden eine auffällig große Zahl modernster und großzügigst ausgestatteter Gebäude für nahezu jeden Wissenszweig (von Kernphysik mit unterirdischem Teilchenbeschleuniger über eine eigene tägliche Campuszeitung der Journalisten bis zu einem Theater mit Werkstätten und allen Schikanen): Das relativ kleine Eugene ist „home of NIKE“ und hat deswegen auch einige potente Sponsoren für Wissenschaft, Kunst und Kultur – insbesondere jedoch für den Sport (Leichtathletik, Basketball usw.) – die teilweise noch im Bau befindliche Studententurnhalle wirkt dann auch geradezu wie ein sanfter Palast der Körperertüchtigung im Internetzeitalter. Doch auch viele Lehrgebäude wirken cool-schick und bequem-hypermodern wie experimentelle Kunstmuseen; und im teuersten Studentenwohnheim (72 Millionen Dollar, 450 Bewohner) der Gegend gibt es neben einem großen lodernden Glas-Kamin im Foyer auch eine Bibliothek mit eigener Präsenz-Bibliothekarin und Studier-Lounges mit edler Wohnzimmeratmosphäre (nicht zu vergessen eine gemütliche, anmietbare Tresenküchen-Empore für Partys, eine weitläufige Cafeteria, bestens ausgestattete Lehrkabinette, Terrassen etc. pp.)… Downtown Eugene treffe ich dann zwischen den lokalen Pflasterpunks („mall rats“) und ihren ähnlich verpeilten Haus(??)tieren auf den ein Buch lesenden Ken Kesey  (der Verfasser von „Einer flog über das Kuckucksnest“ verbrachte hier seinen Lebensabend). Und in einem Supermarkt entdecke ich den in Scheiben geschnittenen van Gogh (siehe Bild oben) im Käseregal – geht es hier um sein Ohr?  

Die Lesung/Vorlesung in Eugene findet dieses Mal in einem gut gefüllten Hörsaal voller zumeist nicht Deutsch sprechender Studenten verschiedenster Studienrichtungen statt; es herrscht eine konzentrierte Atmosphäre, die mir sagt, dass die meisten offenbar zum ersten Mal Details über East-Germany etc. erfahren. Die Diskussion findet jedoch auf erfreulich hohem Niveau statt – ebenso wie das anschließende Treffen beim Edel-Italiener von Eugene mit den überaus angenehmen Kollegen von der hiesigen Deutschfakultät (danke Susan, Alex, Wolfgang und Judith). Eugene erweist sich als eine relativ kleine, grüne Stadt am Willamette River mit einer bemerkenswert starken, topmodernen und in jeder Hinsicht angenehmen Universität.  
Die Heimreise wird lang: Vom Nordwesten der USA muss ich zunächst wieder an die Westküste. Matthias Vogel, der gute Geist von Oregon, der mich freundlicherweise vor seinem Arbeitstag an der Uni frühmorgens noch zum Flughafen bringt, kommt vor Schreck eine Stunde zu früh und klingelt mich schon 4:15 Uhr aus dem Hotelbett… Mein amerikanisches Frühstück (Oatmeal und Burger) bekomme ich dann in Los Angeles – auf dessen Flughafen ich mich für drei Stunden rumtreibe, ehe ich (im Reisekoma) weiter nach Washington fliege. Abends um acht lande ich schließlich auf dem nationalen Ronald Reagan Airport, den ich mittlerweile gut kenne  - allerdings fährt die blaue Metrolinie heute nicht: Am elften Elften ist in den USA weder Karnevalsbeginn noch Martinstag, sondern veterans day! An dem man für einen Tag symbolisch und mit viel demonstrativer Emotion all der Helden militärischer Aktivitäten gedenkt. Deswegen gibt es auf der national mall Massenkonzerte mit Rihana, Eminem, Bruce Springsteen und andern Größen der hiesigen Popkultur – die Washingtoner Innenstadt ist folglich gesperrt und mit mehr als 800 000 Leuten überlaufen (ganz wie am Tag der deutschen Einheit die Straße des 17. Junis in Berlin). Ich schaffe es dennoch in einer guten halben Stunde (mit einer anderen Metro) hinaus bis nach Potomac/Maryland, wo mich Katharina Rudolf und ihre kleine Tochter Viktoria (3) für eine Nacht in ihrem gemütlichen ruhigen Haus aufnehmen – gewissermaßen eine Rahmenhandlung der Freundlichkeit, denn Katharina hatte mich ja schon ganz am Beginn dieser Tour in Washington willkommen geheißen. (Katharina zeigt mir Fotos von dem Hirsch, der es sich gestern im Garten hinterm Haus gemütlich gemacht hat.) 

Und dann: Start zum Flughafen am frühen Nachmittag, Ankunft in Berlin 9 Uhr am nächsten Morgen.


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