Dienstag, 28. Oktober 2014

Amerika 5 - Kleinstadtintermezzo



Von  der prachtvollen Union Station im imperialen Herzen Washingtons (gleich neben dem Capitol) fuhr ich am Freitagnachmittag mit den beredt schweigenden Feierabendpendlern die knapp zwei Stunden hinunter ins deutlich beschaulichere Fredericksburg; entlang großzügiger Gebäude und grüner Landschaften in der goldenen Herbstsonne von den Ufern des Potomac zum mighty Rappahannock.
  Nach Washington würde ich noch zurückkommen, jetzt ging's zu Fuß durch die abendliche, kleine Stadt zu dem gemütlichen Haus von Marcel und John, das für die kommende Woche vorübergehend auch mein Zuhause sein soll.

Am Samstag fliegt John für ein paar Tage zu einer Konferenz nach St. Louis; Marcel nimmt mich mit auf den lokalen farmer’s market, auf dem es frisch vom Erzeuger unglaublich dicke Radieschen, golfballgroßen Rosenkohl und bunten Blumenkohl gibt. Wir werden zwischen den paar Ständen jedoch nicht nur von einer ausgewanderten Verkäuferin auf Deutsch angesprochen, sondern treffen auch Allyson und Chris beim Einkaufen, bei denen wir abends zum Essen eingeladen sind… Auch später im Wegman’s Supermarket treffen wir neben anderen Bekannten auch Allyson und Chris – es ist eine kleine Stadt und die guten Sachen gibt’s nur an bestimmten Stellen… Abends dann gibt es im Haus von Allyson (Historikerin für Spanien 16./17. Jh.) und Chris (Psychologe) die Einkäufe des Tages als recht vertraut schmeckenden Auflauf und wir haben in dem hellen, südlich-erlesen eingerichteten Holzhaus mit den beiden seniorenalten Hunden ein munteres Gespräch über Geschichte, Literatur, etwas Politik und einen internationalen Vergleich von Dichterattitüden. (Allyson: „I never met a poet like you. Except your vest and hat you behave absolutely normal.“)
 
Am Sonntag lassen wir uns Zeit mit dem Frühstück, dann skype ich unter allerlei technischen Umständlichkeiten mit dem bereits schon abendlichen Berlin („elektronische Familienzusammenführung“ meint Marcel) und brechen erst am Nachmittag, perfekt ausgerüstet, zu einer Radtour auf. Ein paar Minuten hinter der Stadt, aber bereits in Stafford County, liegt auf einem Hügel über dem halb verfallenen Dörfchen Falmouth das Anwesen Belmont des deutsch-amerikanischen Malers Gari Melcher, den in Amerika angeblich jeder Gebildete, in Deutschland (nicht ganz zu Unrecht) jedoch kaum jemand kennt. 
  Melcher, der sich auch einige Jahre in den Niederlanden und Deutschland rumgetrieben hatte, gehörte um 1900 herum zu den einflussreichsten und, dank seiner geschäftstüchtigen Porträtmalerei vor allem der Berühmten und Erfolgreichen, auch zu den reichsten Malern Amerikas. 
  Der Ort und das Anwesen sind wunderbar, wir besichtigen zunächst das Studio mit den vielen (qualitativ sehr unterschiedlichen) Gemälden. Später werden wir von gebildeten älteren Damen in einer kleinen Gruppe durch das noch komplett originalausgestattete Haupthaus geführt, in dem es jede Menge echter schöner alter Möbel, Teppiche und Gemälde gibt - was in den USA geradezu einmalig ist, weswegen dort auch keine Bilder gemacht werden dürfen. 

Schließlich steigen wir hinter Belmont noch hinunter zu den Wassern des (mighty) Rappahanock, der an dieser Stelle besonders breit und malerisch über abgeschliffene Sandsteinfelsen sprudelt. Wegen des (relativ) nahen Atlantiks hat der Fluß täglich schwankende Wasserstände, momentan scheinen sie besonders flach zu sein. John hatte mir vorher schon erzählt, dass man hier auch schöne Kanutouren machen kann, jetzt hätte ich Lust dazu, aber Marcel berichtet mir nun von seiner Ganzkörper-Amerikataufe – anlässlich einer Kanutour auf dem (mighty) Rappahannock… Wir radeln im warmen Herbstwind zurück zur Stadt und trinken unseren Kaffee in einer kleinen Bakery, die früher einmal eine Kirche war.  (Abends dann gibt es Fisch und Wein und anschließend „Tatort“ und „tagesthemen“ – zwei müde Deutsche am Sonntagabend halt… das ist dank des Internets vermutlich inzwischen weltweit so denk- und machbar, warum also nicht auch in Ost-Virginia.)

Am Montag geht Marcel zum Dozieren zur Uni und ich habe Zeit meine Sachen zu sortieren und ein wenig das Haus zu erkunden. Die beiden haben dieses kleine Holzschlösschen wirklich bis in den letzten Winkel ebenso erlesen wie praktisch & bequem eingerichtet; nicht nur die beiden Katzen (Valentino und Rambowa), auch ich könnte hier ohne weiteres mein ganzes Leben verbringen, ohne jemals nach draußen zu gehen. (Dazu deshalb demnächst eigens einen Hausbericht!) Dann allerdings lockt mich die warme Herbstsonne schließlich doch hinaus und ich durchstreife am Nachmittag die unerschöpflichen Antik-Shops und Geschenklädchen („Nichtsnutzläden“ würde Simone - nicht ganz zu Unrecht - sagen) von Fredericksburg: Zwar ohne irgendetwas Brauchbares zu finden, aber von all dem nostalgischen Krimskrams dennoch bestens unterhalten, bevor ich mich zuhause mit einem Kaffee auf der sonnigen FrontPorch niederlasse.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen